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Von Antje Mayer.

Ljubljana, Dorfmetropole

Über die Kunst- und Kulturszene der slowenischen Hauptstadt.

Es ist Januar 2008 in Ljubljana.
Die Sonne scheint, die Alpengipfel glitzern im Schnee, der Himmel lässt die nahe slowenische Riviera ahnen. Die sei so kurz, sagt ein slowenischer Witz, dass man mit dem Reisepass im Mund schwimmen gehen muss. Die Schanigärten der unzähligen Cafés und Bars sind bis auf den letzten Platz besetzt und verbreiten mediterrane Atmosphäre. Seit August 2007 herrscht strenges Rauchverbot in Slowenien – am Arbeitsplatz, in öffentlichen Gebäuden und in den Lokalen. Nun sitzen – und arbeiten – die Raucher unter wärmenden Gaslampen. Ich treffe die Slowenin Maja Vardjan auf dem Wochenmarkt, um mir ihr Ljubljana zeigen zu lassen. Sie ist Architektin, Journalistin und seit gut einem halben Jahr Leiterin einer eigenen Galerie für Design, dem T5 Project Space. »Das Schönste an meiner Stadt ist, dass man nur eine Stunde Autofahrt nach Triest für einen italienischen Cappuccino braucht«, lacht Maja. »Mit gerade einmal knapp 280.000 Einwohnern ist Ljubljana klein, in der Kulturszene kennt jeder jeden. »Man muss oft wegfahren, zum Beispiel nach Wien, um internationale Ausstellungen zu sehen. Bei uns kann sich die leider kein Museum leisten, schon allein wegen der hohen Versicherungssummen. Wir sind eben ein Capital Village, eine Dorfmetropole.« Wir gehen zur Moderna Galerija, dem »Museum für Moderne Kunst«, das heuer seinen 60. Geburtstag feiert, aber gerade umgebaut wird. Es beheimatet neben slowenischer Kunst der Moderne die »ArtEast Collection 2000+«, eine hervorragende Sammlung zeitgenössischer Kunst aus Zentral- und Osteuropa von den 1950ern bis heute, die die Kuratorin Zdenka Badovinac zusammengetragen hat. Die hauptsächlich auf Konzeptkunst ausgerichtete Sammlung wurde international bereits mehrmals gezeigt. Für innovativere Ausstellungsprojekte und junge Künstler betreibt das Museum eine Außenstelle: die Mala Galerija.
In der legendären Galerie Skuc treffen wir die künstlerische Leiterin Alenka Gregoric. Die mittlerweile teilweise kommerzielle Galerie ist immer noch einer der wichtigsten Orte für aktuelle Kunst in der Stadt. Sie wurde 1978 als Protest gegen die etablierten Kunstinstitutionen gegründet. Mitte der Achtziger war sie das Zentrum der Subkultur, in dem viele legendäre Ausstellungen (1984 etwa »Homosexualität und Kultur«), Performances und Aktionen stattfanden. Zwischen dem Tod Titos 1980 und dem 10-Tage-Krieg im Jahr 1991 prägten staatskritische Kunstaktionen, Punkkonzerte, Lesben- und Gay-Lokale den Underground. Großer Impulsgeber war die Plattform NSK, »Neue Slowenische Kunst«, die 1984 von den Gruppen Laibach (Musik), IRWIN (Malerei, Grafik) und der Theatergruppe Noordung (damals noch unter dem Namen »Sisters of Scipion Nasice«) gegründet wurde. Weniger im Westen bekannt ist auch die damals legendäre Industrial-Funk-Band Borghesia um den charismatischen Künstler, Journalisten und DJ Aldo Ivancic, der auch die Performance- und Theatergruppe FV112/15 gründete. In dadaistischer Manier hatte man den Titel einfach aus einer slowenischen Enzyklopädie entnommen. Auf deren Seite 112, Zeile 15, war zu lesen: »C’est la guerre!«. Aus dieser bewegten Zeit sind viele die Kunstszene bis heute prägende und international bekannte Persönlichkeiten hervorgegangen, auch viele Frauen wie die NSK-Mitbegründerin Eda Cufer, heute Kulturtheoretikerin und Dramaturgin, die Künstlerin und Architektin Marjetica Potrc, die Philosophin Marina Grzinic, die auch künstlerische Leiterin der Skuc-Galerie war, und ihr noch bekannterer Philosophenkollege Slavoj Zizek. Die Industrialband Laibach, die unter anderem durch ihre Verwendung von Nazi-Ästhetik Furore machte und von der jugoslawischen Regierung verboten wurde, gibt bis heute Konzerte. Ungewöhnlich jung, mit 26 Jahren, übernahm Gregoric 2003 die Leitung der Galerie Skuc von Gregor Podnar, einer wichtigen Figur in der Kunstszene Ljubljanas, dem es in den vergangenen Jahren dort zu ruhig geworden ist. Nun betreibt Podnar auch eine kommerzielle Galerie mit slowenischen und skandinavischen Künstlern in Berlin und ist nur noch sporadisch in Ljubljana. »Was sind die wichtigsten Galerien derzeit in Ljubljana?« fragen wir Alenka. »Die Galerija Kapelica, die so heißt, weil sie in einer ehemaligen Kapelle untergebracht ist, ist sicher einer der engagiertesten Orte für Gegenwartskunst, und das von dem Künstler Tadej Pogacar geleitete P74 für Neue Medien und Musik. Junge slowenische Künstler zeigt auch die Galerija Ganes Pratt. Und die Galerija Alkatraz im autonomen Kulturzentrum Metelkova, ist nach wie vor eine Institution«.

Joze Plecnik und seine Nachfolger

Wir queren den Ljubljanica-Fluss über die »Dreier-Brücke« von Joze Plecnik und kaufen Zigaretten in dem vom ihm entworfenen Tabakkiosk. Vergangenes Jahr feierte Ljubljana das Plecnik-Jahr, kaum ein anderer hat das Bild der Stadt mit einer Generalplanung und den über zwei Dutzend Denkmälern, Plätzen, öffentlichen Gebäuden, Villen, Gärten und Sakralbauten so geprägt wie er. Als sein schönster Bau gilt die National- und Universitätsbibliothek mit dem berühmten Lesesaal. Unweit der Bibliothek zeigt mir Maja ihren »Lieblings-Plecnik«: eine Straßenlaterne mit zwei seltsam nach unten gerollten Phalli. »Säule der doppelten Impotenz« hat der deutsche Architekturtheoretiker Andreas Ruby sie genannt. Eine jener vielen kleinen Interventionen im Stadtraum, die exemplarisch für den schrägen Humor des Architekten stehen.
Auch heute ist die junge Architekturszene in Ljubljana sehr lebendig. »In den Neunzigern waren die Wettbewerbe noch offen. So konnten sich ein paar kleine Büros früh mit größeren Projekten etablieren. Die legendären Ausstellungen »Sixpack« (2004), die von Genua und Rom aus ihre Tour u.a. nach London, Buenos Aires und Rotterdam startete, und »Young Blood – I’m a Young Sloven Architect« (2005), die in Ljubljana und Prag gezeigt wurde, machten die slowenischen Nachwuchsarchitekten darüber hinaus weltweit bekannt.
Maja führt uns zu einer alten aufgelassenen Tabakfabrik (»Tobacna Ljubljana«), einer jener zahlreichen alten Industrieanlagen aus jugoslawischer Zeit, die derzeit für die »creative industry« des Landes in Büros und Wohnlofts umgebaut werden. Modedesigner, junge Architekturbüros, Grafiker und Galerien haben sich dort angesiedelt. ROG, ein aufgelassenes Fahrradfabriksgelände, ist auch so ein Areal, auf dem demnächst ein Zentrum für zeitgenössische Kunst zusammen mit einem Architektur- und Designzentrum entstehen soll, querfinanziert von kommerziellen Mietern. Ganz nach dem Geschmack des derzeitigen Kulturministers Vasko Simoniti, der als konservativ gilt, angeblich wenig interessiert am Zeitgenössischen. Die Kunstszene sieht das kommerziell orientierte Projekt im ROG skeptisch, ist man doch anarchische Szenerien wie die der »Metelkova« gewöhnt, ein von der autonomen Kunstszene seit 1993 besetztes Kasernengelände mit staatlich unterstützten Galerien, Clubs, Studios, Sozialeinrichtungen und einer Jugendherberge in einem ehemaligen Armeegefängnis. Es liegt im von Immobilienhaien umkämpften Stadtzentrum, unweit des Hauptbahnhofs. Immer wieder hatte die Stadt versucht, die Gebäude abzureißen oder zumindest den Strom abzudrehen. Ohne Erfolg bisher.
Maja und ich beenden unseren Rundgang wieder auf dem Markt bei einem slowenischen Kaffee unter der Wärmelampe. »Schmeckt fast so gut wie in Triest«, scherzt Maja. Als wir uns verabschieden, frage ich sie, ob die Slowenen eigentlich ein Problem mit der Bezeichnung »Balkanland« hätten. »Nein, darüber erzählen wir uns höchstens Anekdoten. Mir hat der slowenische Medienkünstler Igor Stromajer einmal folgende erzählt: Während der Balkankriege wollte man Bären in die französischen Pyrenäen umsiedeln, die aus ihrem Habitat vertrieben worden waren. Die Einheimischen dort protestierten: Bären vom Balkan, so ihr Argument, hätten ein zu schlechtes Benehmen.«



Artikel erschienen in: Spike Art Quarterly, April 2008
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